Schreie und Flüstern

"Schreie und Flüstern" mit Schauspieler Mathieu Carrière

RECKLINGHAUSEN Ein gut gewählter Spielort: Die Gymnasialkirche in Recklinghausen mit ihrer strengen Erhabenheit hat einen Touch von Mausoleum und Jenseitswelt, der der gespenstischen Stimmung von Ingmar Bergmans Sterbe-Drama "Schreie und Flüstern" entgegen kommt. Frank Hoffmann hat den Stoff (1972 von Bergman verfilmt) bei den Ruhrfestspielen für eine Bühne vor dem Altar adaptiert.Von Kai-Uwe Brinkmann

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Mathieu Carrière und Jessica Walther-Gabory in der Inszenierung »Schreie und Flüstern«. (Foto: Kosthoryz)
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Der Festivalintendant wagt viel, weil er seiner Inszenierung den doppelten Boden eines Experimentes und Theater-Essays einzieht. Er lässt ein verschachteltes Szenario um die Seelenlandschaft dreier Schwestern - mit Rückblenden und Traummomenten komplex genug -, nicht einfach spielen, sondern bricht die Handlung zusätzlich auf: In der Ich-Form wendet sich Mathieu Carrière ans Publikum. Er spricht Passagen aus Bergmans Exposé zu "Schreie und Flüstern", mit dem der Schwede seinen Darstellern das Projekt ans Herz legte.

Mathieu Carrière schlüpft in verschiedene Rollen

"Lasst uns die Möglichkeiten des Theaters ausloten", heißt es in Carrières Vorrede. Auf die Absichtserklärung folgen verbale Charakterskizzen. Agnes (Lili Schackert) liegt im Sterben. Bei ihr sind ihre Schwestern Karin (Nora Koenig) und Maria (Jessica Walther-Gabory) und eine Dienerin (Kathrin Veith). Karin ist von verhärmter Härte, Maria sinnlich und selbstverliebt. Beide sind unglücklich verheiratet, mit Männern, die Carrière spielt.

Regisseur Frank Hoffmann will auf ein Vexierspiel aus

Distanz und eine Strindbergsche Kälte prägen das Verhältnis der Schwestern. Nur die Dienerin ist in der Lage, die todkranke Agnes zu trösten. Das psychologische Unterfutter ist so vielschichtig, dass allein die Handlungsebene uns genug zu denken gibt. Doch Hoffmann will unbedingt auf ein Vexierspiel hinaus. Also lässt er Bergman/Carrière zu Wort kommen. Der sinniert über sein Werk oder poltert mit Regieanweisungen ins Geschehen: "Nein, nein! Das Licht ist viel zu grell!"

Dramatisches Potenzial fällt in sich zusammen

Solch abrupter Ebenenwechsel ist kontraproduktiv. Mühsam aufgebautes dramatisches Potenzial fällt zusammen wie ein Kartenhaus. So schön morbide die Aura, so stimmungsvoll der Raumklang der Kirche - das Stück selbst wirkt überfrachtet.